„Dieses Frisch-von-der-Frauke-Gefühl“

Wenn man so über den Hof zu Fraukes Salon schlendert, kreuzen allerlei haarige Figuren den Weg: gescheckte Fellnasen riskieren ein Auge, ein Ziegenbock mit prächtigem Bart steht wie selbstverständlich auf seiner Fensterbank und frisch gebürstete Pferde wedeln stolz ihren Schweif. Manchmal macht eins sogar den Türsteher und steckt am Treppenabsatz den Kopf aus der Box. Mit gut frisierter Ponyfrisur, versteht sich. „Bin ich hier wirklich noch in Kassel?“, habe ich mich schon öfter gefragt. Es herrscht eine so ländliche Idylle auf dem Hof der Alten Mühle, dass man kaum glauben kann, gerade von der Wilhelmshöher Allee abgebogen zu sein. Vorbei am Türsteher, wird es richtig urig und gemütlich.

„Einmal schön machen“, sage ich zur Begrüßung und werde von Frauke mit einem Lachen an einem der alten Nähmaschinen-Tischchen platziert. Da wird übrigens streng nach Männern und Frauen getrennt: rechte Nähmaschine für Damen, linke Nähmaschine für Herren. „Was machen wir denn heute?“, fragt sie und zupft dabei kritisch an meiner leicht derangierten Mähne. „Ja ja, ich hab mir heute halt keine Mühe mehr gegeben“, denke ich entschuldigend, sage jedoch mit einem gewissen Blitzen in den Augen: „Die Sache wieder in Form bringen. Außer… Du hast eine andere Idee?“ Wieder nimmt sie einzelne Strähnen hoch und lässt sie nacheinander fallen. Fachfräuisch wuschelt sie meine Frisur etwas auf, schaut links, schaut rechts und blickt mich schließlich durch den Spiegel an. „Der Bob ist einfach Deine Frisur“, stellt sie klar. Wieder einmal. Sie weiß nämlich, dass ich gelegentlich mit einem starken Drang nach Veränderung oder nach etwas Neuem um die Ecke komme. Heute ist wieder so ein Tag! Einmal wollte ich aus einem Anflug von Unzurechnungsfähigkeit heraus, rosa Strähnen in mein rotes Haar. Frauke hat mich nur mit hochgezogenen Augenbrauen angeschaut und „Nein, das mache ich Dir ganz bestimmt nicht“ erwidert. Hat mir dann aber zwei Auswaschbare für ein kurzes Gefühl der Verrücktheit verpasst. Später musste auch der kleine Punk in mir zugeben, dass die Realisation meiner Idee wohl etwas unpassend gewesen wäre. Ja, auch dafür braucht man eine erfahrene Frisörin: Dass sie einem offen sagt, wenn man mit der eigenen Vorstellung völlig daneben liegt. „Wir können aber gerne eine Variante reinbringen“, schlägt sie diplomatisch vor. Wir einigen uns darauf, erst einmal Farbe aufzubringen. Ich schinde also Zeit und werde diese nutzen, um in den Frisuren-Magazinen nach Anregungen zu suchen. Ha! Frauke legt mir den Umhang um und rührt meine Farbe an, während ich schon einmal rebellisch anfange zu blättern. Mit routinierten Handgriffen pinselt sie meinen Ansatz ein und wir bringen uns gegenseitig auf den neuesten Stand: Kinder, Haussanierung, was man gerade so plant oder im Kopf hat, Lokales, Verschiedenes. Manchmal schwelgen wir auch in gemeinsamen Erinnerungen: „Weißt Du noch damals, als Du Henna haben wolltest?“ Als ob ich diesen zu Beton gewordenen Kuhfladen auf meinem Kopf vergessen könnte. Und dann lachen wir. Weil wir beide wissen, dass ich ohne Fraukes Hilfe, mit einer Glatze aus diesem Experiment rausgegangen wäre. Es gibt aber auch regelrecht dramatische Erinnerungen: Einmal musste ich Frauke fremdgehen, weil ich so viel unterwegs war und bin während einer Geschäftsreise zu irgendeinem Ohne-Termin-Frisör in irgendeiner Großstadt gegangen. Der fesche junge Mann zückte sogleich sein Messer und säbelte los. Und ich dachte noch: „Hey, das wird mal was ganz anderes. Mit so einem coolen Messer!“ Ganz anders wurde es allerdings. Nur nicht cool. Einigermaßen verzweifelt bin ich einige Tage später zu einem Notfall-Termin hereingestürzt und die langjährige Frisörin meines Vertrauens stellte nur trocken fest: „Der hat tatsächlich Naturlocke mit einem Messer geschnitten.“ Seufzend und mit einem Kopfschütteln machte sie sich an den struppigen Handfeger, der mal meine Frisur war und versuchte beherzt zu retten, was kaum zu retten war.

„Damengedeck?“, grinst Frauke als sie fertig mit dem Einpinseln ist. Ich nicke und grinse zurück. Kaffee mit Milch, ein Glas Wasser, dazu ein Keks. Serviert auf einem kleinen Tablett mit Spitzendeckchen. So wie ich es am liebsten mag.

Während Frauke umherwuselt und wir locker weiter plaudern, zeige ich ihr immer wieder Frisuren die mir gefallen. „Dafür sind Deine Haare zu kurz, dann musst Du erst wachsen lassen.“ Das nächste. „Das ist alles Styling. Da sind auch Extensions drin.“ Das nächste. „Das ist ganz stark durchgestuft, dann fallen Deine Locken nicht mehr schön.“ Das nächste. „Das ist im Prinzip Deine Frisur, nur anders geföhnt. Können wir mal ausprobieren.“ Na also! Mit dem Gefühl einen Teil-Sieg errungen zu haben, lege ich die Magazine beiseite. Inzwischen ist auch schon der nächste Kunde neben mir platziert worden und wird wieder Tageslicht-tauglich gemacht. Zeit, den Blick und die Gedanken ein wenig schweifen zu lassen.

Die Sache mit der Frisur ist doch so eine Sache. „Weißt Du noch damals bei der Corona-Krise als die Frisöre schließen mussten?“, wird es eines Tages heißen. Was für eine Aufregung! Vor dem Hintergrund einer gefährlichen weltweiten Pandemie scheint es doch geradezu lächerlich, sich ausgerechnet über die Schließung der Frisöre aufzuregen. Sind wir alle so eitel, so sehr auf das Äußere bedacht? Als hätten wir nach sechs Wochen ohne Frisörbesuch ausgesehen wie verfilzte Hippies mit fragwürdiger Körperhygiene. Geheime Termine bei Dämmerlicht in zwilichtigen Salons wurden gar zum Ausdruck einer gewissen Rebellion. Oder Verzweiflung? Ich denke, dass es ein Reduzieren auf die pure Eitelkeit viel zu sehr vereinfacht und dem Handwerk nicht gerecht wird. Sich wohl in seiner Haut zu fühlen, sich selbst zu wertschätzen und entsprechend zu pflegen, spiegelt sich auch im Inneren wieder. Und umgekehrt. Was hilft, wenn man einen richtig miesen Tag hatte? Was tut man, wenn man einen schwierigen oder wichtigen Termin vor sich hat? Oder was macht man, wenn man ein Date hat? Richtig. Man macht sich hübsch zurecht, wirft sich in Schale und reckt das Kinn. Wenn ich meine Lieblings-Power-Klamotte trage und mich gut fühle, strahle ich das auch aus. Dazu gehört eben auch zwingend die Frisur. Hat man einen Bad-Hair-Day, kann sich das schon mal in der Stimmung wiederspiegeln. Führt eine Straßenfeger-Frisur vielleicht sogar unmittelbar zur Kratzbürstigkeit? Lässt man das eigene ungute Körpergefühl an anderen aus? Das sollte man bei Gelegenheit mal näher beleuchten. Oder man denke an die Enttäuschung, wenn die Ehemänner dieser Welt nicht bemerken, dass man beim Frisör war! Bestenfalls fragen sie: „Ist das Oberteil neu?“ – dann haben sie zumindest bemerkt, dass man strahlt und irgendwie anders und besonders gut aussieht. Aber auch ein sehr ernster Aspekt unterstreicht die Wichtigkeit dieser Thematik für das eigene Wohlbefinden: Das Anfertigenlassen einer Perücke ist einer der ersten Schritte von Krebspatienten, hin zu einem Stück Normalität. Und nicht zuletzt ist Hygiene das richtige Stichwort: der regelmäßige Frisörbesuch ist eben Teil der Körperpflege. An dieser Stelle möchte ich es auch gleich zugeben: Ja, auch ich war eine der ersten die am Tag der Wiedereröffnung deutscher Frisörsalons um einen Termin bettelten!

Mein Wecker hat geklingelt und ich blinzle die Gedanken beiseite. Frauke zieht mich mit dem Stuhl nach hinten ans Waschbecken, um mir die Farbe vom und die Frisuren-Flausen aus dem Kopf zu waschen. „Bring den Bob wieder in Schwung. Aber wir föhnen heute mal anders!“, entscheide ich schließlich. Sie hat ja Recht. Einfach Recht. Weil sie einfach gut ist, in dem was sie tut. Und ich merke, dass ich mich mit jedem Schnitt der Schere besser fühle. Die obligatorische Frage „Etwas Produkt ins Haar?“ gibt es bei Frauke übrigens nicht – das Nutzen von Stylingprodukten ist bei ihr selbstverständlich. Übrigens ist sie die einzige Frisörin die ich kenne, die nicht die angebotene Farbpalette selbst auf dem Kopf zur Schau trägt, sondern ist herrlich natürlich und steht zu ihrem eleganten Silber-Lametta. Das nur am Rande. Während Frauke schneidet, stylt und föhnt, plaudern wir munter weiter und ich genieße die Zeit, in der ich einfach mal verwöhnt und hübsch gemacht werde. Bis ich das Werk von Meisterhand rund herum im Spiegel betrachten kann. „Richtig schön“, sage ich und merke schon wie ich zu leuchten beginne.

„Bis in vier Wochen!“, flöte ich schließlich zum Abschied und kreuze erneut die ländliche Idylle auf dem Hof. Den Rest des Tages verbringe ich mit dem Frisch-von-der-Frauke-Gefühl. Egal was heute noch passiert: Ich hab die Haare schön. Und das strafft die Schultern.

Svea J. Held
Schriftstellerin aus Kassel & Stammkundin seit 2010
Mai 2020

Lesung „Kurz & Blutig“ – Dinner & Dunkle Kurzgeschichten von Svea J. Held |
Hairstyling von Frauke Margraf